Klasse Job?
Wer heutzutage Lehrer*in werden will, ist zumeist von viel Idealismus getrieben – so auch ich. Als ich mit dem Lehramt-Studium begann, war mir sehr wohl bewusst, dass das österreichische Schulsystem oft sperrig sein kann. Trotzdem war mein Berufswunsch klar und ich war mir sicher: Wenn man nur will, kann man was verändern.
Die Corona-Pandemie hat deutlich aufgezeigt, wie wichtig die Arbeit der Lehrer*innen ist, und trotzdem muss ich mich regelmäßig dafür rechtfertigen Ferien zu haben und erklären, dass Ferien und auch Wochenenden im Lehrberuf keinesfalls gleichzustellen sind mit Freizeit. Wer den Job ernst nimmt (und ich kann sagen in meinem Umfeld sind das so gut wie alle), hat häufig kein Wochenende, Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Planung von Projekten, Lehrausgängen, Exkursionen und Sprachreisen, Fortbildungen, aber auch die Weiterentwicklung der Schule als solches stehen nicht nur an den Wochentagen, sondern häufig auch an den Wochenenden am Programm.
Ich unterrichte nun seit mittlerweile 6 Jahren an einem Gymnasium in einer österreichischen Landeshauptstadt. Im Vergleich zu vielen anderen Schulen, sind wir dort nach wie vor auf einer Insel der Seligen was diverse soziale Probleme betrifft, und trotzdem haben ca. 10% des Lehrkörpers – darunter auch ich - im vorigen Schuljahr freiwillig ihre Stunden reduziert (wir sind nun also auch solche "faulen" Teilzeitkräfte, die Arbeitsminister Kocher vor wenigen Wochen zur Mehrarbeit drängen wollte), weil sie es anders schlicht und einfach nicht mehr geschafft hätten und andernfalls vermutlich ein längerer Krankenstand die Folge gewesen wäre. Zwei Sekretärinnen dieser Schule sind bereits aufgrund von Burnout aus dem Schuldienst ausgeschieden, und auch heuer haben die Anträge für Sabbaticals und Karenzurlaube wieder zugenommen.
Irgendwas ist also offenbar doch nicht so "klasse". Woran könnte das also liegen? Doch nicht etwa an den Kindern und Jugendlichen?
Wenn ich mit meinen Kolleg*innen darüber spreche, ist der Tenor relativ eindeutig: Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht allen nach wie vor Spaß, viele meinen sogar, das sei das Einzige, das ihnen noch genug Kraft gibt um täglich in die Schule zu kommen. Daran kann es also nicht liegen.
Doch die zunehmende psychische Belastung der Kinder und Jugendlichen ist auch für uns deutlich sichtbar und bereits ein großer Teil unseres Arbeitsalltags geworden: Letztes Jahr kam eine Schülerin auf mich zu und bat mich um ein Gespräch. Sie hatte immer nur beste Noten, einen gefestigten Freundeskreis und kommt aus einem nach Außen hin perfektem Haushalt der oberen Mittelschicht. Ich hatte vor dem Gespräch keine Ahnung was auf mich zukommen würde.
Im Laufe des Gesprächs wurde dann klar: "der Schein trügt". Die Schülerin litt unter emotionaler Vernachlässigung. Meinem Idealismus folgend, tat ich alles in meiner Macht Stehende, um das Mädchen zu unterstützen: Es folgten unzählige Gespräche mit allen verfügbaren Instanzen, natürlich auch mit den Eltern, doch es änderte sich nichts. Das Jugendamt war informiert, ließ sich allerdings vom Schein schnell täuschen – es passierte wieder nichts. Die Schülerin wurde nirgends gehört und landete immer wieder bei mir – in der großen Hoffnung, mit mir endlich jemanden gefunden zu haben, der ihr zuhört und sie ernst nimmt.
Ich gab immer noch mein Bestes: Versuchte sie in vielen, stundenlangen Gesprächen immer wieder aufzufangen, ihr Zuversicht zu geben, ihr Hilfe zu vermitteln. Doch irgendwann war auch für mich deutlich sichtbar: das Mädchen wird nirgends wirklich ernst genommen. Niemand schätzte ihre Lage als dramatisch ein – das "Vorzeigemädchen", das immer gute Noten schrieb und erfolgreiche Eltern hatte, konnte doch keine ernsthaften Probleme haben. Auch mir gegenüber zeigte sich wenig Rückhalt in der Schule. Mir wurde geraten mich "abzugrenzen" und mich nicht zu sehr "vereinnahmen" zu lassen. Mein Idealismus begann zu schwinden.
Leider ist diese Schülerin bei weitem kein Einzelfall. Der teils massive Leistungsdruck der sowohl von der Schule als auch von Eltern auf die Jugendlichen ausgeübt wird, führt immer häufiger zu psychischen Erkrankungen bei Schüler*innen. Als Lehrperson steht man zwischen den Stühlen: der Leistungsdruck kommt von oben und von der Seite– dem Bildungsministerium, der Direktion, aber auch von der Gesellschaft und den Eltern. Wir müssen Resultate liefern, und trotzdem will man diesen Druck nicht an die Jugendlichen weitergeben. Bei 30 Schüler*innen in einer Klasse ist es nicht immer einfach auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen, und doch versuchen wir tagtäglich allen gerecht zu werden. Unser Idealismus treibt uns an immer das Beste aus der Situation zu machen, doch realistisch betrachtet ist das ein Spagat der auf Dauer nicht gelingen kann. Bei mir dauerte es ca. 5 Jahre bis diese traurige Erkenntnis angekommen war und mein Idealismus noch weiter schwand.
Es sind sicher nicht die Kinder und Jugendlichen, die den Beruf so kräftezehrend machen – ganz im Gegenteil. Es ist das System das krankt – und das häufig auch krank macht – da helfen auch keine Ferien.
Und nur um das klarzustellen – ich gebe dem Bildungsministerium durchaus recht – der Lehrberuf ist ein klasse Job. Doch die vorherrschenden Rahmenbedingungen machen es mir, zumindest derzeit, unmöglich ihn weiter auszuüben. Ich habe mich entschieden einen anderen Weg einzuschlagen. Und traurigerweise bin auch ich kein Einzelfall…
J. (AHS Lehrerin)